Nach einem Vierteljahrhundert bereise ich fast zeitgleich auf Tage genau noch einmal den Norden der Insel Zypern. Einer private Einladung folgend finde ich dieses Mal Unterschlupf in einem Dorf unweit des Städtchens Girne. Dort liebevoll umsorgt fühle ich mich gut aufgehoben und schnell integriert in den ganz normalen Alltag der Inselbewohner.
Und es dauert nicht lange, bis sich in mir wieder etwas breit macht, was ich bereits von damals kenne: dieses "Sich-verzaubert-fühlen". Kaum dass ich aus den Fenstern auf Zitronen- und Orangenbäume schaue oder mich alsbald auf den Weg mache, um einerseits alten Urlaubserinnerungen nachzuspüren, andrerseits wieder Neues zu entdecken.
Was genau eigentlich ist es, das so zu faszinieren scheint? Locken Sonne, die ursprüngliche Landschaft mit vielerorts noch einsamen Stränden? Ist es der noch nicht erkennbare Massentourismus, der anderswo längst nervt? Oder ist es die natürliche Gastfreundschaft samt Gelassenheit der Einheimischen, trotz eigener Probleme, die natürlich auch sie haben? Ist es womöglich die geringe Kriminalität, die den nördlichen Teil der Insel mit zu den sichersten Reisezielen weltweit macht?
Oder weckt ganz einfach nur die regelrecht atmende Geschichte mit ihrem reichen kulturellen Erbe das Interesse? Vermutlich ist es ein Mix aus allem.
Dieses Fleckchen Erde als Teil der drittgrößten Insel des Mittelmeeres nach Sizilien und Sardinien, welches im östlichen Mittelmeer nicht weit entfernt von den Küsten Anatoliens, Syriens und Ägyptens liegt, fordert wiederholt geradezu heraus, auf den unübersehbaren Spuren derer zu wandeln, die über Jahrtausende dort lebten und herrschten. Um nur einige zu nennen: neolithische Stämme, Achäer, Phönizier, Griechen, Assyrer, Perser, Ptolemäer, Römer, Byzantiner, Kreuzfahrer, Lusignans, Venezianer, Osmanen und die Briten.
Von der wieder vereinigten Stadt Berlin in die geteilte Stadt Lefkoşa | Nicosia
Gleich einen Tag nach meiner Ankunft ermöglicht eine Mitfahrgelegenheit einen ersten Besuch des nördlichen Teils der Hauptstadt Zyperns. Für eine wie mich, die den Fall der Mauer hautnah 1989 in Berlin miterlebte und als im Jahr 1949 Geborene ein inzwischen nicht mehr existentes Land & Gesellschaftssystem „über-lebte“, eine Erfahrung, die mit leicht gemischten Gefühlen verbunden bleibt. Auch wenn diese Stadt nur durch eine „Grüne Linie“ geteilt ist, die darüber hinaus von Friedenstruppen der Vereinten Nationen, der United Nations Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP), überwacht wird.
Nichtsdestotrotz schlendere ich entspannt durch die Gassen mit ihren kleinen Cafés, Restaurants und Lädchen, die auch ohne große Werbeplakate auszukommen scheinen. Neben dem "Derviş-Paşa-Stadthaus", einigen anderen Klöstern und Kirchen, an oder in denen ich nur kurz verweile, schenke ich der gotischen "St. Sophien-Kathedrale | Selimye Moschee" sowie der riesigen "Karawanserei | Büyük Han" noch einmal meine ganz besondere Aufmerksamkeit. Die im Jahre 1572 erschaffene Herberge für Reisende, in denen einst die Händler mit ihren Tieren übernachteten, gilt als das angeblich älteste türkische Bauwerk der Insel überhaupt. Heute ist es eines der beliebten Ziele von Touristen.
Erlebenswert ist auch der Stadtmarkt „Bandabulya | Municipal Market“, der neben frischem Obst und Gemüse weit mehr darüber hinaus anbietet. So u. a. auch handgefertigte Produkte in dem kleinen Atelier Kabuk, in dem wiederholt einige Reedflöten zu Gehör gebracht werden. Ein paar Markt-Schritte weiter stehe ich plötzlich vor einem leeren Bühnenraum. Ich erfahre fast nebenbei, dass dort insbesondere für Kinder Schattenspiele aufgeführt werden. Beispielsweise dieses:
Zu meiner großen Überraschung werde ich in der kurzen Zeit meines Aufenthaltes gleich zu mehreren Ausstellungseröffnungen und einer Buchvorstellung nach Lefkoşa | Nicosia eingeladen und mitgenommen. Das allein schon dort Präsentierte lässt darauf hoffen, dass diese Stadt nicht nur wegen ihrer Geschichte, sondern zunehmend auch wegen der aktuellen kulturellen Angebote vor allem jüngere Menschen anzieht.
Sicher darf zu den zahlreicher werdenden Freizeiteinrichtungen auch das alte und wieder auf Vordermann gebrachte TaşEV-Haus gerechnet werden, mit dem ein junger Architekt und ein Schullehrer die Vision verbinden, in den Straßen von "Old Nicosia" etwas zu tun. Sie wollen die "tote Hauptstadt" endlich wieder mit Leben füllen; wollen Kunst und Kultur ins Viertel bringen und helfen, den in der Nähe lebenden Kindern eine allgemeine und künstlerische Bildung angedeihen zu lassen. Neben Übernachtungen wird im Haus auch gutes Essen angeboten. Wobei die Hälfte eines jeden Menüpreises für das Bildungsprogramm verwendet wird.
Das quirlige Hafenstädtchen
Egal, wohin mich meine Wege in diesen Tagen auch führen. An einer Stadt komme ich niemals vorbei. Die Rede ist von "Girne | Kyrenia", einer der ältesten und wohl auch beliebtesten Orte für Inselurlauber. Die Stadt liegt um eine hufeisenförmige Hafenbucht, eingebettet vor dem Hintergrund der "Fünffingerberge" an der Nordküste Zyperns mit Blick hin zur Girne-Burg. Erbaut wurde sie von den Byzantinern im 7. Jahrhundert. Historischen Quellen zufolge wurde sie im Jahr 1191 erstmals überhaupt erwähnt, als der Erzbischof Richard im 3. Kreuzzug Zypern übernahm.
Während meines Burg-Rundgangs überwinde ich mitunter überaus hohe Treppenstufen, um - endlich oben angekommen - die unbeschreiblich schönen Ausblicke in alle Richtungen genießen zu können. Bevor ich nach weiteren Erkundungen diese beeindruckende Festung dann endgültig wieder verlasse, wage ich noch ein paar Blicke in das mir in Erinnerung gebliebene Schiffswrack-Museum mit dem dort ausgestellten "Schiff von Kyrenia".
Nachdem ich vor 25 Jahren an einem Karfreitag die Klosterruine erstmals in Augenschein genommen habe, wird heute die Fahrt zur Abtei Bellapais - gelegen auf einem Felsvorsprung des Kyrenia-Gebirges - für mich zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art.
Neben weiteren besichtigungswürdigen Orten im nördlichen Teil der Insel Zypern besuche ich auch die byzantinische "Antiphonitis Kirche". Hoch droben mit Meeresblick verführt ihre unmittelbare Umgebung nicht nur zum längeren Verweilen, sondern mitunter dann auch schon mal zu einem privaten Picknick.
|| Die Perle Zyperns: Girne | PDF Broschüre*
An dieser Stelle sei erwähnt, dass neben der Nutzung von Autos ein preisgünstiges Bus- und Minibusnetz die Verbindungen zwischen den wichtigsten Städte Nordzyperns absichert. Und obwohl es keine exakten Fahrpläne gibt, fahren Busse trotzdem regelmäßig und Sammeltaxis | Dolmuş auf den gleichen Routen. Ich gebrauche letztere gleich mehrmals und am Ende meiner Reise auch zu einer etwas längeren Fahrt von Girne in die Altstadt von Famagusta.
Famagusta | Gazimağusa
Famagustas imposante Wälle und Bastionen entstanden während der Herrschaft venezianischer Statthalter Ende des I5. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vor ihnen ließen Könige des Hauses Lusignan bereits im frühen I3. Jahrhundert erste Wehrbauten zum Schutze der Hafenstadt errichten.
Angekommen in der Altstadt - hin auf dem Weg zur St. Nikolas Kathedrale - pausiere ich zunächst am "Namik Kemal Kerker". Einem zweistöckigen Museum im Hof des venezianischen Palastes, in dem besagter Volks- und Freiheitsdichter Namik Kemal bis 1876 drei Jahre eingekerkert war.
Die während der Lusignanherrschaft in den Jahren 1208 bis 1312 erbaute St. Nikolas Kathedrale gilt als das schönste gotische Bauwerk des Mittelmeerraumes. Auf dem Platz vor der Kathedrale steht ein uralter Baum, eine Sycomore (Ficus Sycomorus), die genauso alt ist wie die Kathedrale. Sie steht dort seit 713 Jahren.
Nach einem Vierteljahrhundert - fast zeitgleich auf Tage genau - nehme ich nun ein zweites Mal Abschied von der Insel. Im Herzen fast wehmütig, aber dankbar und glücklich zugleich besteige ich am Flughafen in Ercan das Flugzeug Richtung Istanbul, um von dort aus dann endgültig den Heimweg nach Berlin anzutreten.
Text und ALLE zur Vergrößerung anklickbare bzw. verlinkte Fotos sowie Upload-Clip: © Elisabeth Heller im Mai 2018
* Liste von Broschüren zum Bestellen sowie zum PDF-Download bei Nordzypern-Touristik